Was strukturiert den Raum? Was bestimmt, wo die Wege verlaufen, wie öffnet und schließt sich die Landschaft? Versuch einer Systematik in Beobachtungen entlang der Temnitz.
3. Schiene
Es sind immer unendliche Linien aus Eisen und Holz. Nichts strukturiert die Landschaften mehr, wo sie als noch nicht kartografierte blanke, maßlose Weite erscheinen, beizukommen nur durch radikale Geometrie als Baukastenset. Linien, die Wiesen teilen, Weidefläche, Wüste, Hochebene. Die Geschichte Amerikas: Der Telegraf setzt seine Masten und spannt seinen Draht, und auch die Schiene legt ihr massives Metall in ein Bett aus Holz. Ein Netz legt sich über die Wildnis. Ist der erste Nagel eingeschlagen, lässt sich die Linie von Küste zu Küste fortsetzen. Der Goldene Nagel, wo Westküsten- und Ostküstenbahn sich treffen, beschließt die vollständige Kolonisierung des Kontinents. Die Lokomotive hieß Jupiter. Ab dann: die frontier auch nur vorbeiziehende Landschaft.
Im Ruppiner Land ist das Gleis ein weiches, kaum einmal fährt ein Zug vorbei. Dann senkt sich eine Schranke im Feld, ein Licht, ein Ton, niemand wird dadurch angehalten, niemand will die Gleise kreuzen, es ist eher ein Schauspiel, so scheint es, Ritual einer geheimen Runde von Lokführer*innen. Fast peinlich berührt bin ich, wenn ich es einmal beobachte, bleibe in respektvollem Abstand und tu so, als hätte ich nichts gesehen, wenn ich bald darauf die Gleise kreuze.
Dann bleibe ich kurz stehen, schaue nach links und nach rechts: Auch diese Linie zieht sich unendlich und ganz gerade, kaum einmal berührt sie die Dörfer, hineingelegt in eine Landschaft, die sich ihr anpasst, mit Rodung und Damm.