In Arkadien 1

et in arcadia ego

 

Sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden bringt einen letztlich immer wieder zurück an denselben Ort. Das was im Allgemeinen als Verunsicherung bezeichnet wird, ist wiederum nichts notwendig bekanntes, ist selbst wieder unsicheres Terrain – in diesem Fall Brandenburg. Man kann sich also darin entweder besser oder schlechter zurechtfinden, klar ist aber bei meiner Anreise, dass die Dorfstraße 35 zwei oder drei Mal unter derselben Postleitzahl existiert. Und so ähnlich ist es auch mit dem Rechercheprojekt mit dem ich anreise.

Von Braunschweig aus bin ich über die Landstraße gefahren, etwa Dreieinhalb Stunden durch Wälder, die beinahe plötzlich auftauchen, dann aber ein so dichtes Geflecht bildeten, dass der Eindruck entstand, ich wäre in eine Art Urwald gelangt. Starker Regen verschwamm die Straße zu einem schwarzen Strom, der mich in Richtung unbebauter Gegenden führte. Zunächst waren nur Andeutungen von Zivilisation zu erkennen.

„Verborgen halten ja die Götter den Menschen die Nahrung. Leicht nämlich erwürbest du sonst an einem Tag so viel, dass es dir sogar übers Jahr hin reichte, und gingst du auch müßig“, heißts in Hesiods Werke und Tage, und weiter „Doch verbarg Zeus die Nahrung, grollend im Herzen, weil ihn der verschlagene Prometheus betrog.“

An den tiefen Wald schlossen sich die Felder von Mais und Weizen und gingen in die Weite. Zwischen den Ähren der Mohn und die Kornblumen, dann die bunten Wiesen, überragt von Windrädern, die sich zäh und träge und lautlos bewegten, blinkten und sich in diesem Regenwetter gegen die Landschaft stellten, Einschnitte machend, immer weiter Einschnitte, mit jeder Umdrehung.

Ich fuhr von der Landstraße ab, blieb bei einem Umspannwerk stehen um eine zu rauchen. Ich sah die Autobahn und war von den gigantischen Energieerzeugern umgeben. „Deshalb also ersann er den Menschen trauriges Elend und verbarg das Feuer“, das Prometheus stahl und den Menschen gab.

Auf meinem Weg hörte ich viel Radio und legte mir meine Arbeit zurecht. Der Versuch zu verstehen, um was es sich bei der Vorstellung des goldenen Zeitalters handelt, also der Idee einer unschuldigen Urwelt, nach friedvollen, idealen Zuständen, hatte mich hierhin geführt. Der Regen wurde immer stärker, sodass ich einsteigen und weiterfahren musste. Ich stellte den Scheibenwischer auf höchste Stufe. Bald waren die ersten Namen angeschrieben, die mir etwas sagten. Neuruppin, Dornow, Rohrlack, Herzsprung, Vichel, Werder, Katerbow, Rägelin.

Hesiod schreibt vom Mythos der Pandora (des Allgeschenks) das Gott dem Epimetheus machte. „Die Frau aber hob mit den Händen den mächtigen Deckel vom Fass, ließ alles heraus und schuf der Menschheit leidvolle Schmerzen. Einzig die Hoffnung blieb dort drinnen im unzerstörbaren Haus, unter dem Rand des Fasses und flog nicht heraus.“ Im Textkommentar wird die Parallele zur ersten Frauenfigur in der Bibel gezogen.

Letztlich war auch das eine neue Umgebung, in der ich zwar einige Anhaltspunkte hatte: die Vorarbeiten in meiner Bachelorarbeit zu Risikogesellschaft und Dystopie, sowie meine Beschäftigung mit Heilsversprechungen durch Technik, die sich daraus entwickelt hatten und entscheidender Teil meiner Arbeit am Roman (Willkommen im Bauch der Maschine) war.

Damit würde ich mich in den nächste Monaten beschäftigen, dachte ich, dann gelangte ich in Rägelin beim alten Gasthaus – an der Dorfstraße 35 – an und traf meinen Gastgeber Eric Engelbracht.
Es folgte ein Empfang. Die Tische waren gedeckt mit eingelegten Früchten, mit Sushi und gebackenen Kartoffeln, Wein aus Italien war gebracht worden. Mit Susanne Krell rauchte ich draußen vor der Türe.

Später fuhr mich Eric in die Ölmühle nach Katerbow, wo sich meine Wohnung befand. Er gab mir Kaffee und Brot und noch mehr Sushi mit, Joghurt und Butter und etwas Marmelade. Morgen würden wir einkaufen fahren.

 

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