Steinnotizen: Porosität

Es stimmt nicht, was sie sagen. Man soll sich nicht fernhalten von Löchern. Hineinfallen wäre besser. Sich selbst eine Grube graben. Den porösen Zuständen entsprechen, die diese zerklüftete Welt uns vorlegt. Einzig das ist schwer, sehr schwer, wenn man ungern fällt. Wer weiß, ob man nicht wie Alice im Wunderland landet, wenn man ins Loch stolpert?  Schon als Kind waren mir Kaninchenbaus unheimlich. Ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, was da unter der Erde lauert. Hohlräume sind aber das, was uns Menschen mit den Steinen eint. Was wären wir ohne unsere Schädelhöhle, Bauchhöhle, Beckenhöhle oder Brusthöhle? Und der Stein ohne seine Gänge, Kämmerchen, versteckten Wasserreservate?

Ein Loch     fällt auf, man fragt sich gleich: Was fehlt denn da? Nichts fehlt! Ein Loch ist nur Potenzial, selbst das im Herzen, wenn man glaubt zu spüren, dass es wächst und wächst. Dann füllt man Löcher, meist mit Unfug: Substanzen, die uns Löcher vergessen lassen, allerhand Kram, den wir eigentlich nicht brauchen. Die falschen Befüller. Es sind immer die, die behaupten, sie könnten unsere Löcher schließen. Man fühlt sich kurz besser, bis überall kleine Risse entstehen. Man trinkt und das Gesöff rinnt einfach aus dem Körper, bis man in Pfützen steht. Bis alles platzt. So geht das nicht.

Porosität beschreibt ja erstmal ein Verhältnis. Wieviele Hohlräume in einem Körper. Das ist nicht wertend. Es gibt keinen Grund, dieses Verhältnis zu verändern. Man sollte die Insekten einladen und Spinnen. Kleines Getier, das sich im Porösen eine Heimat errichtet. Wir brauchen die, die unsere Löcher lieben. Gebt ihnen von mir aus eine Stirnlampe und ein bisschen Brot, damit sie sich nicht so einsam fühlen in unseren Löchern. Sie sind die Wesen, die die Löcher ausstatten. Moose und Flechten wachsen lassen. Vielleicht eine Wurzel, die sich im Porösen einnistet. Man muss zulassen, dass diese Wesen die Löcher finden. Wenn sie nicht von sich aus kommen, bleibt das Loch besser leer.

Man kann der Leere schon was abgewinnen. Von der Überfülle aus betrachtet, scheint die Leere eines Paradieses würdig. Aus den Löchern schallen die Hilfeschreie unseres Innenlebens. Man darf sie nicht mit Watte ausstopfen, sonst hört uns niemand mehr. Wenn jemand kommt und in unsere Löcher schaut, entdeckt er unsere Minerale. Wir leuchten und stinken im Inneren, das wissen die Pathologen und Milben. Der stechende Muff erstarrten Gewebes. Die Diagnose lautet: Versteinerung, seelische Versteinerung. Und warum? Weil wir nur noch lernen, die Löcher zu umgehen. Die Porosität zu ignorieren, ist fatal, wenn man ein Gebäude baut. Sie hängt mit der Durchlässigkeit zusammen. K = xΦ + xΦ2 ….+ xΦ10, Das ist so, ich kann es auch nicht ändern.

Manche Steine sehen aus wie Bienenwaben. Das habe ich nicht erfunden. Ich bin kein Erfinder, ich bin ein Höhlenforscher und kein besonders guter. Einmal habe ich mein Kletterseil vergessen und ein andermal hat mich die Angst vor der Dunkelheit in die Flucht getrieben. So ist das eben. Manche Dinge sieht man aus zu großer Ferne und dann drängen sich andere Dinge auf. Ein poröser Stein, eine Bienenwabe, eine Mondlandschaft. Es ist, wie die Engländer sagen, ein rabbit hole. Das geht immer so weiter, bis man gar nicht mehr erinnern kann, mit was man begann. Ein Geschwulst, eine verdurstete Hyäne, die Stirn eines Barockesels. Eigentlich hatte ich nur einen Stein in der Hand gehalten und jetzt das. Meine Haut ist ganz ausgetrocknet. Ich frage mich, ob es den Steinen auch so unerträglich scheint hier auf der Erde. Wenigstens dürfen sie schweigen.

In den Löchern aber gibt es keine Fantasie. Ein Loch beschreibt die Abwesenheit des Steins im Stein. Er ist dort das, was er nicht geworden ist. Und trotzdem gehört das Loch zum Stein. Das Loch würde ohne Stein kein Loch sein. Das ist das, was uns die Steine von der Sehnsucht und den Schmerzen lehren.  

 

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