Strich in der Landschaft V

5. Draht

Es sind immer unendliche Linien aus Eisen und Holz. Schiene, Telegraf. Und Draht, der sich um Holzpfosten legt. Verbinden Schiene und Telegraf, trennt der Stacheldraht. Machen die einen endlosen Linien Mobilität möglich, verhindern sie die anderen. Im späten 19. Jahrhundert revolutioniert der Stacheldraht die Viehhaltung, statt mobiler Herden mit Cowboys wird das noch lebendige Fleisch jetzt einfach eng zusammengehalten, durch Eisentunnel zum Eisenstrang gebracht, der es in Eisenwagen nach Chicago fährt, Schlachthaus der Welt. Zeitlos, auch in diesem geheimen Startpunkt der Moderne, bleibt das ungerechte Verhältnis von Metall zu Haut.

Draht mit Stacheln, vor allem aber Draht mit elektrischer Ladung überall entlang der Wege. Trete ich aus dem Wald hinaus und über den Sand, blicken mich die großen Augen der Rinder stumm und unbewegt an. Kaum sichtbar, aber beiden Seiten absolut präsent, die dünne Linie des Elektrodrahts. Wer ist eingesperrt wer ausgesperrt? Wer ist Betrachter, wer wird betrachtet? Irgendwo ein Schild: Freilaufender Bulle, Lebensgefahr. Ich blicke auf die dünne Linie, die mich beschützen wird, aber verlangsame dennoch mein Tempo.

Ein Geraschel im Graben auf der anderen Seite des Weges. Ein Kalb hat sich von der Herde entfernt und schießt aus dem Gebüsch. Ich bleibe stehen, schaue zur Herde, die noch immer unbewegt zurückschaut. Das Kalb zögert, schlägt Haken, dann taucht es unter das weiße Seil hindurch. Gleichzeitigkeit von Panik und Ruhe. Für einen Moment ich und Kuh wohl im gleichen Bewusstsein, dass diese Linie, die unsere Räume teilt und meinen sandigen Weg ausschließt, eigentlich nur eine symbolische ist.

Tage später gehe ich Laufen. Ich habe die Zeit falsch eingeschätzt, den Fortgang des Tages. Gerade war es noch Mittag, jetzt überlege ich, ob das schon Dämmerung ist. Ich laufe mit offenem Blick für Bäume, auf die ich klettern könnte, für Hochsitze, Gräben. Überall scheint ein Geruch von Wild in der Luft zu liegen, der Wald voll Wolken, Mückenschwarm und schwerer Duft. Den sandigen Weg entlang immer weiter. Durchspielen, was ich las: Stehenbleiben, großmachen, klatschen. Wildschwein und Wolf so scheu. Als ich mich dem Dorf nähere, schenkt mir der Draht der Gehege ein Gefühl von Behagen. Wer ist drin, wer ist draußen? Ich sehe die Herde, den lebensgefährlichen Bullen, jenseits der endlosen Linie, weiß, dass ich sie kreuzen kann, hinein in sein Revier, und fühle mich sicher.

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