Schon in meinem Exposé für meine literarische Arbeit als temnitzschreiberin war von Brombeeren die Rede. Nur in einem Halbsatz, aber dennoch: Brombeeren.
Das kleine bisschen Natur, das mich damals am Wegesrand von Bushaltestelle zu Elternhaus zum Verweilen brachte, auch wenn ich wusste, dass meine Mutter durch das Wohnzimmerfenster wahrscheinlich schon den Schulbus vorbeifahren hatte sehen, und dass das Essen kalt werden könnte – diese Vorspeise wollte ich mir nicht nehmen lassen.
Gierig stopfte ich mir eine Brombeere nach der anderen in den Mund. Oft ließ ich mir nur einen Halbgedanken Zeit, um mich über eine besonders süße zu freuen oder mich über eine saure, vielleicht auch über eine überreife zu ärgern. Viel zu groß war die Begeisterung, dass die Natur so bereitwillig und unkompliziert zu geben bereit war. Da musste ich einfach zugreifen!
Und so stand ich, minutenlang, einfach nur auf dem Bürgersteig und pflückte die fies auf die Fingerspitzen abfärbenden Früchte von den Zweigen.
Die sprudelnde Freude, wenn ich nach und nach immer mehr Brombeeren erkannte, mich nach oben reckte, oder mit dem nackten Arm immer tiefer zwischen die dornigen Zweige griff. Am schönsten war es, zu wissen, dass noch so viele übrig sein würden, wenn ich am nächsten Tag meinen Schulweg antreten würde. Der Vorrat war noch lange nicht erschöpft.
Auch mein Willkommensblumenstrauß in Katerbow bestand zum Teil aus Brombeeren. Ein paar dieser noch grünen Beeren reiften in den folgenden Tagen in der Vase auf meinem Schreibtisch zur dunkelblauen Volljährigkeit heran, und auch da pflückte ich sie. Bei Brombeeren frage ich mich nie, ob ich Hunger habe, auch selten, ob man die schon oder noch oder überhaupt essen darf. Diese Freude darüber, dass die Brombeere schon in irgendeiner Form essbar ist, überschattet fast den Eindruck des Essens selbst.
Und nun, beim Spazierengehen im Amt Temnitz, zwischen Bäumen, die ich nicht direkt benennen kann, zwischen den Buchseiten von Bestimmungsbänden, zwischen unbeholfenen Google-Anfragen, zwischen Gesprächen und Versuchen, sich so viel wie möglich zu merken, nun begegnet mir am Wegesrand ein großzügig behangener Brombeerbusch.
Ich freue mich kurz reflexartig, pflücke unüberlegt und esse selbstverständlich. Und beim Blick auf meine dunkelblauen Fingerspitzen denke ich, wie gut eine Wiederbegegnung tut.